Jesus hat keine Priester geweiht. Und doch ist die römisch-katholische Kirche von sazerdotalen Vorstellungen geprägt. Martin Ebner geht den Spuren des andersgearteten jesuanischen Erbes im Neuen Testament nach – eine ‚gefährliche Erinnerung‘ an die ältesten Traditionen des Christentums in zwei Teilen!
„Was Jesus den Tod gebracht hat. wurde zum Grundstein des Christusglaubens: das Selbstbewusstsein der Gemeinden, ein Personaltempel zu sein – mit Jesus als Zentrum, aber ohne Tempelinstitution“ und ohne „Riten, die allein menschlichen Priestern vorbehalten sind“.
Typisch für das Neue Testament ist, dass die priesterliche Würde entweder nur einem einzigen zuerkannt wird, nämlich Christus, oder allen gemeinsam.
Erst in der Wende vom 2. zum 3. Jh. (190-210 n. Chr) stellen sich zunächst Episkopen („Bischöfe“), dann auch Presbyter („Priester“) in Analogie zu den alttestamentlichen Priestern dem Volk gegenüber und verlangen 10% Kirchensteuer.
Der Messias, der sein Volk und die Welt von Hass und Neid befreien wird
Ich liebe die unverständlichen Sätze in der Bibel und die Szenen, die sich dabei abspielen. Da sieht Johannes der Täufer Jesus vorbeigehen und sagt zu seinen Anhängern: Seht, das Lamm Gottes! Da verlassen die zwei Anhänger Johannes und folgen Jesus.
Schon dass Jesus bei Johannes vorbeigeht, erstaunt mich. Anscheinend hatte Jesus schon eine Richtung nach seiner Taufe.
Als Jesus sich von Johannes taufen ließ, sagte der Täufer im Blick auf Jesus: „Seht das Lamm Gottes,“ mit dem Zusatz: „das die Sünde der Welt hinweg nimmt.“ In der aktuellen Szene wiederholte er seine Aufforderung: „Seht, das Lamm Gottes.“ Ich staune, dass seine zwei Anhänger das verstehen und Jesus nachfolgen. Ich hätte es nicht verstanden und wäre nicht mitgegangen.
Aber die Menschen damals sahen auf den Tempel, in denen Lämmer Gott geopfert wurden. Ein „Lamm Gottes“ gehört Gott. Es kann meiner Ansicht nach nicht Gott geopfert werden, es gehörte ja schon Gott. Wem soll es dann geopfert werden? Den Menschen? Wir kennen bei Jesus eine andere Szene, in der er sagt: “Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Wenn das beim Lamm Gottes gemeint ist, dann wäre das eine Umdrehung der Opferhandlung. Nicht Menschen opfern Gott ein Lamm, sondern Gott selbst opfert sich den Menschen.
Ich glaube, Gott zeigt sich uns als großer Liebender. So kann ich verstehen, dass sich die zwei Jünger Jesus anschlossen, um etwas Neues, zum Beispiel Nächstenliebe zu lernen. Sie nannten Jesus Lehrer und sahen in ihm den Messias, der sein Volk und die Welt von Hass und Neid befreien wird.
Da passte es gut, wenn Johannes den Zusatz „Der die Sünde der Welt hinweg nimmt“ dem Jesus und seinen Anhängern auf den Weg mitgab. Die Sünde der Welt ist für mich die „Absonderung von Gott“. Die Welt hat sich von Gott distanziert und diese Absonderung überwindet der Messias, der heilt, stirbt und zu Ostern aufersteht. Die Nähe Gottes kommt dann endgültig zu Pfingsten, wenn er in unseren Herzen Wohnung nimmt. Vielleicht spüren wir das.
Gott: Opfert keine Schafe und Lämmer. Ich opfere mich selbst. Nicht für mich, sondern für euch. Weil ich euch liebe.
Priester: Das ist schön. Aber die Opfer bleiben.
Gott: Macht den Tempel zu einem reinen Gebetshaus.
Priester: Dann haben wir keine Opfer, keine Einnahmen, keine Aufgaben. Wir verarmen. Willst du das?
Gott: Nein. Ihr habt viele Talente. Ich schlage mein Zelt unter euch auf.
Priester: Zelte kann der Sturm abreißen und mitnehmen. Ein steinerner Tempel ist da besser.
Gott: Aber unbeweglich und er kann leicht zerstört werden, wie es die Babylonier gemacht haben und es die Römer auch machen werden. Nein, mein Heiliger Geist betet dann in euch allen.
Priester: Aber dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen uns und dem Volk.
Gott: Dafür bin ich euch sehr nahe. Wir werden sehen.
Ich habe mir mit netten Freunden die Oper Rusalka angesehen, in der eine Wassernixe und ein Prinz sich verlieben. Beide werden unglücklich. Er stirbt durch ihren Kuss und sie wird ein Irrlicht im Wald. Erlösung ist nicht zu erkennen. Nur zuletzt bittet sie, dass der ewige Gott seiner Seele gnädig sein soll. Die Wassernixe Rusalka wird aber nicht erlöst. Sie wartet noch immer voll Sehnsucht auf ihre Befreiung. Wie viele Menschen sind unglücklich in ihren Beziehungen, müssen sich trennen, oder können sich nicht trennen. Sie sehnen sich danach, geliebt zu werden. Aber die Liebe eines anderen Menschen allein löst nicht alle Schwierigkeiten. Es braucht auch die Erlösung von Gott. Ich bin fasziniert von jenen zwei Menschen, die solche Sehnsucht nach Erlösung hatten und die gleichzeitig auch so verbunden mit Gott und dem Heiligen Geist waren, dass sie in ihrer Umgebung etwas erkennen konnten, das sonst keiner sah. Die beiden, der Prophet Simeon und die Prophetin Hanna erkennen im kleinen neugeborenen Jungen Jesus den erlösenden Messias. Ich frage mich, wie sie diese große Sehnsucht nach Erlösung und dieses große Vertrauen auf Gott durchhalten konnten.
Simeon war anscheinend ganz tief verbunden mit dem Heiligen Geist. Dieser gab ihm die Botschaft, dass er nicht sterben wird, bis er den Erlöser sehen kann. Er ließ sich vom diesem Gottesgeist führen und im Tempel sah er das Kind, nahm es voll Freude in seine Arme und dankte Gott: „Nun lässt du mich in Frieden sterben. Ich habe den Erlöser gesehen.“
Ähnlich erging es der 84 jährigen Witwe Hanna, die ununterbrochen liebevoll und mit Hingabe im Tempel Gott mit Fasten und Beten diente. Auch sie sah voll Freude das Kind und zeigte es allen anderen, die auch wie sie auf die Erlösung warteten. Ich bemerke viele Menschen, die verzweifelt sind und vereinsamen. Dem Propheten Elias ist es so ergangen. Da braucht es einen Engel, der zu ihnen kommt und ihnen sagt: Steh auf, iss, trink und geh zum Berg Gottes! Egal, wie alt du bist. Du hast eine Aufgabe!
Ich frage mich, warum verurteilten die Priester des Jerusalemer Tempels Jesus zum Tode? Wovor fürchteten sie sich? Der Tempel soll, so meinte er, ein Haus des Gebetes sein. „Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht.“ Das war der religiöse Grund, warum sie ihn umbringen wollten. „Gebet statt blutiger Opfer“ würde ihre Lebensgrundlage zerstören. Er rief ihnen laut zu: „Wenn ihr den Tempel niederreißt, werde ich ihn in drei Tagen wiederaufbauen.“ Sollte der Opfer-Tempel wirklich untergehen, gibt es einen neuen Tempel ohne blutige Opfer.
Gott im Brot und Wein
Dafür hat er mit dem Ritual des Brotes und des Weines vorgesorgt. Statt der geschlachteten Lämmer im Tempel gibt es spezielles Brot und einen speziellen Wein. Brot und Wein wird durch die Gnade Gottes der Leib Gottes und das Blut Gottes. Wenn wir Christinnen und Christen seinen Leib essen und sein Blut trinken, bilden wir den neuen Tempel. Dieser ist nicht aus Steinen erbaut, sondern aus Menschen.
Dieses „Gebet statt Opfer“ und dieses „Liebe statt blutiger Schlachtorgien“ fürchteten die Priester des Jerusalemer Tempels.
Deswegen wollten sie dich, Jesus eliminieren. Danke, Jesus, dass du durchgehalten hast!
Der alte Äon mit den falschen Erlöserfiguren (Trump, Orban, Putin, Erdogan, Xi Jinping, Kim Jong-un) wird erschüttert, aber nicht ersetzt, sondern transformiert: um eine neue Mitte.
Die guten Kairoi im Leben ermöglichen tiefe Erfahrungen des guten Endes.
Der Tempel von Jerusalem war der Ort der Gottesbegegnung, an dem die Herrlichkeit Gottes wohnte. Die Armen mussten dort oft ihr letztes Geld geben.
Er wird oft mit einem Wallfahrtsort verglichen, an dem ich nicht nur bete, sondern auch meiner Frau Lebkuchenherzen und meiner Enkelin Schneekugeln kaufe. Die Händler sind aber nicht zu vergleichen mit den Geldwechslern und Opfertierhändler in Jerusalem. Wenn ein Jude unrein war, musste er ein Opfer bringen. Das war lebensnotwendig, um in der Gemeinschaft weiterleben zu können. Schneekugeln sind nur Andenken.
Die Opfertiere waren keine Andenken, sie waren notwendig und konnten nur mit Tempelwährung bezahlt werden. Die Geldwechsler und Tierhändler bereicherten sich in unverschämter Weise an den Armen, die sich mit einem Opfer reinigen mussten. Die Tempel in der Antike waren ähnlich den heutigen Banken. Heute ist die Wall Street in New York die größte Wertpapierbörse der Welt. Täglich werden bis zu 8 Milliarden Dollar gehandelt.
Für Jesus war der Bankbetrieb am Tempel von Jerusalem wie eine „Räuberhöhle“. Der Ort sollte ein Haus des Gebetes sein. Vielleicht bereichert sich heute auch jemand in unverschämter Weise an den Armen. Aber ob die Börsen ein Ort des Gebetes sein sollen ist mir nicht klar.