Archiv der Kategorie: Aufklärung

Leuchtet in die dunklen Ecken!

Die Zusage Jesu „Ihr seid das Licht der Welt“ hat eine riesige Auswirkung auf die Geschichte gehabt. Die Aufklärung über die Götterstatuen und über die göttliche Liebe zu den armen Menschen wirkte in die Spätantike und in die europäische Geschichte hinein. Ähnliche Wirkung zeigte der Jesusspruch: „Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet im Licht, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet auf den Dächern!“ (Mt 10,26b-27).

  • Licht macht die Welt für uns sichtbar. Ohne Licht würden wir in der Finsternis verkommen. Wir Christinnen und Christen sollen und sind Licht und machen als Licht vieles sichtbarer. Das Licht der Aufklärung und der Wissenschaft ist uns nicht fremd. Beide werden vom christlichen Geist, der auch der Heilige Geist ist, gefordert und gefördert.
  • Wir Christinnen und Christen sind aber nur Licht, wenn wir in der Beziehung zu Gott und Jesus Christus leben.
  • Lange in die Lichtquelle zu schauen ist sinnlos. Wichtiger wird das, was angeschienen wird. So treten wir Christinnen und Christen zurück, aber das, was wir anscheinen, wird sichtbarer. Wenn wir dabei andere Menschen sehen und ansehen, sollten wir sie würdigen.
  • Bertolt Brecht schreibt über die Armen: „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht, und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Unsere Aufgabe ist es, in die dunklen Ecken zu leuchten und den Armen in die Augen zu sehen.
  • Die Aufklärung über die sexuellen Übergriffe von Vorgesetzten und den Machtmissbrauch an Kinder und Jugendlichen braucht Menschen, die Licht in diese dunklen Ecken voll Leid bringen.
  • Der sexuelle Machtmissbrauch in der Kirche bringt nicht nur großes traumatisches Leid, sondern verdunkelt auch das befreiende Evangelium.
  • Wir Christinnen und Christen klagen gerne über die Kirche. Aber wir sind ein Licht, das leuchten will. Es ist immer noch besser ein kleines Licht anzuzünden als über die Dunkelheit zu klagen.
  • Unser Licht ist auch immer ein Wegweiser. Wenn wir das Licht nicht verdunkeln, weist es den Weg zu Gott, der alles mit seinem liebevollen Licht durchdringt.
  • Sei ein Licht für die Menschen!

Evolutionstheologie

Darwin und die Evolution wurden oft als Gegensatz zur Religion empfunden. Immerhin widerspricht die Evolutionstheorie dem Wortlaut der Schöpfungsberichte. Andererseits kommt man als Christ nicht mehr vorbei an der modernen Naturwissenschaft. Dabei zeigt diese auch interessante Details, die nahelegen, christlichen Glauben in neuer Sicht zu deuten. Manches kann man sogar besser verstehen, und bisherige Widersprüche verschwinden. Gott – und insbesondere, wie er den Menschen geschaffen hat – muss man sich meiner Ansicht nach etwas anders vorstellen als vielleicht zuvor.

Erblast statt Erbsünde

Die Genesis lastet das Böse den ersten Menschen an – und die katholische Theologie sprach daher bisher von Erbsünde. Hier wurde zwar – auch im Sinne der Evolution* – richtig erkannt, dass eine erbliche Komponente enthalten ist. Der Ausgangspunkt war jedoch nicht die Tat (oder Sünde) eines Menschen, sondern die Selektion: Sie ist Teil jener Evolution, die Gott zur Entwicklung des Lebens geschaffen hat. Bereits im Tierreich – lange vor dem Menschen – wurden Angeberei (Uhl and Voland 2002), Selbstsucht und Aggressivität* im weitesten Sinne positiv selektioniert. Konrad Lorenz nannte es das ‚sogenannte Böse‘ (Lorenz 2006). Den Proponenten brachte es Vorteile. Unser Intellekt klassifiziert es als ‚böse‘, weil es Leid bei anderen (malum morale) erzeugt.

Viele aus dem Tierreich geerbte Mechanismen sind für uns Menschen unzumutbar: Sie sind eine Erblast.

Was bedeutet das für das Christentum? Ist Gott deswegen Mensch geworden?

Weiterlesen auf „Dialog Theologie & Naturwissenschaft

Buch: Göttliches Spiel. Evolutionstheologie von Wolfgang Schreiner, mit einem Vorwort von Erhard Busek. Verlag Holzhausen
Rezension von Göttliches Spiel. Evolutionstheologie, W. Schreiner, von Andreas Losch
Artikel: Zufall als Plan, Wolfgang Schreiner
Artikel: Wolfgang Schreiner / Hubert Philipp Weber, Evolution und die Güte Gottes. Fragestellungen zur Theodizee, Theologisch-praktische Quartalschrift 158/1 (2010)

Die Grenzen der Naturwissenschaft

Hawkings_letzte_WorteDer Naturwissenschaftler Stephen Hawking sagte in seinem letzten Interview: „Versucht einen Sinn zu erkennen in dem, was ihr seht und fragt euch, was das Universum existieren lässt.“ Er glaubte, dass es ein Gesetz gibt, das aus der Schwerkraft das Universum entstehen lässt. Der Physiker Anton Zeilinger fragte daraufhin: „Wer hat das Gesetz erschaffen?“ Die Naturwissenschaft kann die Frage nach dem großen Sinnzusammenhang nicht beantworten. Gott kommt uns dabei entgegen. Die Menschwerdung Gottes hilft mir, in Beziehung zu dem großen Grund zu kommen und ihn mit „Du“ anzusprechen. Diese Augenblicke haben einen kleinen oder großen Vorgeschmack des Himmels in sich. Stephen Hawking wird in diesen Stunden „seinen“ Augenblick haben. Er wird vor seinem Schöpfer stehen und erkennen, wer das Universum existieren lässt und welchen Sinn das Ganze hat.
Jesus hatte vor dem Osterfest Augenblicke, in denen er sich ganz intensiv mit seinem Vater austauschte. Dies erlebte er so stark, dass es seine Seele erschütterte.

Jesus: Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen. Die Menge, die dabeistand und das hörte, sagte: Es hat gedonnert. Andere sagten: Ein Engel hat zu ihm geredet. Jesus antwortete und sagte: Nicht mir galt diese Stimme, sondern euch. Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden. Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde. Joh 12,20-33

Aufklärung wie Islam?

Ist das Ziel von uns Menschen eine aufgeklärte Welt? Ein Satz aus dem skeptischen 20. Jahrhundert will das hinterfragen: „Die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“ Die Aufklärung ermöglicht die Ausbeutung der Natur und die Unterwerfung der Menschen. Aufklärung bringt nicht nur ein Mündigwerden des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit (Immanuel Kant), sondern eine instrumentelle Vernunft, die alles unter dem Aspekt des Nützlichen behandelt. „Die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils“ schreiben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“. Die Aufklärung wird in der Eroberung der Welt kolonialistisch und totalitär faschistisch.

Odysseus und Mohammed

Da der Islam in unserer Moderne angekommen ist, gibt es starke Analogien mit der Eroberung von Medina und Arabiens durch Mohammed zu erkennen. Der Islam reduziert das Denken und Leben auf eine instrumentelle Vernunft, bei der es um die Kontrolle (Islam heißt Unterwerfung) der Menschen geht. Fünfmal am Tag und in der Nacht beten, Kleidungsvorschriften, Essvorschriften, Notdurftvorschriften und Ähnliches. Der Islam braucht keine Aufklärung, er hat die totale Aufklärung als Kontrolle der Welt schon längst als instrumentelle Vernunft, die alles unter dem Aspekt des Nützlichen behandelt. Solange die Gläubigen, die Ungläubigen und die Natur nützlich sind, sind sie für jeden islamischen Staat und seine Ideologie zu gebrauchen. Das, was Horkheimer und Adorno in ihrer Dialektik der Aufklärung über Odysseus geschrieben haben, müsste man über Mohammed als Prototyp des Kontrollmenschen schreiben: „Furchtbares hat die Menscheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt.“

Narzissten, Kontrollfreaks und das fehlende Vertrauen

Raphael M. Bonelli schreibt in „Perfektionismus, Wenn das Soll zum Muss wird“: „Da Angst die Wurzel des Perfektionismus ist, sollte Religion den Perfektionismus zumindest wirkungsvoll abmildern. Klar: Wovor sich ängstigen, wenn man sich in Gott geborgen weiß? So ist religiöser Perfektionismus eigentlich ein Widerspruch in sich, letztlich eher ein Hinweis mangelnden Glaubens und Vertrauens in einen Schöpfergott, der zumindest aus Sicht der monotheistischen Religionen sein Geschöpf wohlwollend im Sein erhält.“ Der Islam und die Aufklärung sind Symptome mangelnden Glaubens und Vertrauens in einen Schöpfergott. Selbstkontrolle kann erfolgreich sein, aber ein Zuviel ist krankhaft. Perfektionismus wird bei den neuen amerikanischen Klassifikationskriterien für psychische Krankheiten als zwanghafte Persönlichkeitsstörung (DSM-5-Code) gewertet. Typisch dafür ist eine starke Beschäftigung mit Ordnung, Perfektion und psychischer sowie zwischenmenschlicher Kontrolle auf Kosten von Flexibilität, Aufgeschlossenheit und Effizienz. Der zwanghafte Mensch beschäftigt sich übermäßig mit Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation oder Plänen, so dass die wesentlichen Gesichtspunkte wie Kommunikation, innere Gestimmtheit und Ausrichtung auf etwas Größeres verloren gehen.

Vaterlose Gesellschaft

Wie kann ein der Aufklärung oder dem Islam verfallener Kontrollmensch wieder Vertrauen in den Schöpfergott gewinnen? Er benötigt einen Erlöser wie Jesus, der mit ihm zum Vatergott geht. Kontrollmänner sind bei ihrer Mutter aufgewachsen und konnten sich nicht mit einem Vater identifizieren, der ihnen den Umgang mit den eigenen Fehlern lehren kann. Die Aufklärung und der Islam schaffen eine vaterlose Gesellschaft, die Jungen wachsen bei ihren Müttern auf, werden dort als Götter verehrt und werden entweder Narzissten (mit erotischer Liebe zu sich) oder Kontrollfreaks. Diese jungen Männer brauchen Jesus, der mit ihnen zum Vatergott geht und ihnen zeigt, wie sie mit ihrer Angst vor Versagen umgehen können und Vertrauen in andere Menschen und in Gott aufbauen können.

Ein unmaßgeblicher Vergleich

Ex-Domspatz Probst: „Ich habe meinen Frieden gefunden“

Alexander Probst schrieb ein Buch über seine schlimmen Erlebnisse als Regensburger Domspatz. Er wurde als Kind sexuell  missbraucht. Anlässlich des Abschlussberichts, der an diesem Dienstag (18.7.2017)  in Regensburg vorgestellt wurde, blickt er im DeutschenWelle-Gespräch zurück – ohne Zorn.
DW: Sie sagten einmal, eine persönliche Entschuldigung sei Ihnen nicht mehr so wichtig. Warum?
Lange Zeit war es mein Wunsch, dass der Täter sich bei mir entschuldigen möge. Seitdem ich sehr viel mehr über ihn weiß, dass er sich zum Beispiel bis in die Neunziger Jahre noch an Kindern vergangen hat, wusste ich, dass eine Entschuldigung gar nicht möglich ist. Zum anderen hat Bischof Voderholzer um Verzeihung gebeten – obwohl er ja selbst nichts dafür kann. Dieses Gespräch war mir mehr wert als alle Entschuldigungen vergangener Täter.
Quelle: Deutsche Welle

Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen: Alles muss aufgedeckt werden

Ein früherer Domspatzen-Schüler berichtet, wie ihn der damalige Domspatzen-Direktor Johann Meier im Speisesaal „wie besessen“ verprügelt habe, weil er seinen Schweinsbraten nicht aufgegessen habe. Er habe geprügelt, „wo immer er mich treffen konnte, bis er nach wohl einem Dutzend Schlägen erschöpft aufhörte“. Georg Ratzinger, der Bruder von Josef Ratzinger (Ex-Papst Benedikt XVI) habe daneben gesessen und gelacht. Dessen Äußerungen in der Passauer Neuen Presse klingen ganz anders. Von Ohrfeigen habe er zwar gewusst, aber die seien „im Rahmen des Üblichen“ gewesen.
547 Regensburger Domspatzen sind seit 1945 nach Angaben des Sonderermittlers Ulrich Weber missbraucht worden. Der Anwalt hat nach einer zweijährigen Untersuchung des Missbrauchsskandals bei dem weltberühmten Knabenchor seinen Abschlussbericht vorgelegt. 500 Chorkinder hätten körperliche Gewalt erlitten, 67 sexuelle Gewalt.
Weber sagte, die Opfer beschrieben die Zeiten bei den Domspatzen im Nachhinein als „Gefängnis, Hölle und Konzentrationslager“ oder als „schlimmste Zeit ihres Lebens, geprägt von Angst, Gewalt und Hilflosigkeit“.
Bischof Rudolf Voderholzer hat seit Beginn seiner Amtszeit in Regensburg Anfang 2013 die Aufklärung des Skandals maßgeblich vorangetrieben. Seinem Vorgänger Kardinal Gerhard Ludwig Müller (bis vor Kurzem Präfekt der Glaubenskommission in Rom) war wiederholt vorgeworfen worden, die Aufklärungsarbeit behindert zu haben. Er hatte mehrfach gesagt, der Missbrauch durch Priester sei von Medien aufgebauscht worden.
Jetzt aber kommt der Missbrauch und die Gewalt ans Tageslicht. Jesus sagte: Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Deshalb wird man alles, was ihr im Dunkeln redet, am hellen Tag hören, und was ihr einander hinter verschlossenen Türen ins Ohr flüstert, das wird man auf den Dächern verkünden (Lk 12,2-3). Die Wahrheit wird euch frei machen (Joh 8,32). Jedes Kind, das sexuell missbraucht wurde, erlebte Fürchterliches. Gott wurde mit jedem Kind, das geschlagen wurde, auch geschlagen.
Quelle: Zeit Online
Quelle: SZ 2016,   SZ2017
Quelle: Passauer Neue Presse

Umflutet zu sein von Gottes Energie

Ich lese gerade: Der Philosoph Wilhelm Schmid sieht in der Gottesfrage das Eigentliche jedweder Existenz. In der Zeitschrift “Universitas“ erklärte er über „die mögliche Liebe Gottes und die wirkliche Liebe zu Gott“: „Die Entscheidung für oder gegen die Annahme einer Transzendenz ist eine intime Frage des jeweiligen Ich, … intimer noch als andere Fragen: Kann ich mich mit der mir gegebenen Endlichkeit bescheiden, von der ich glaube, dass sie nicht zu überschreiten ist, oder will ich mich in eine mögliche Unendlichkeit eingebettet glauben, in der auch ein anderes Leben möglich ist? Wenn Letzteres, nehme ich dieses Mögliche in mein Innerstes auf, gebe meinem Glauben also einen Platz in meinem Kern, ‚im Herzen‘, nicht nur in der Peripherie meiner selbst.“
Das aber ist die Kernaufgabe von Kirche, auf sokratische Weise den Individuen Hilfestellung zu geben, selber an dieser Frage zu arbeiten, sie stets neu zu bedenken – und sie vielleicht trotz aller Zweifel positiv zu beantworten, diese Antwort zu leben. Letzten Endes geht es dabei um Sehnsucht, Wahrheit, Redlichkeit und Beziehung: um eine Beziehung der Liebe, „die die Kunst des Liebens noch einmal erweitert“. Der Philosoph nennt dafür drei Weisen: eine anfängliche, fast naive Weise, eine kindliche Liebe, „die auch über die Kindheit hinaus bewahrt werden kann und in der sich Göttliches und Kosmisches“ vermengen; eine Liebe des abrupten Ergriffenwerdens von etwas, das unendlich größer ist als ich, wie es Saulus bei seiner Bekehrung zu Paulus erlebte; schließlich eine allmähliche, reflektierte Weise der Liebe „auf Grund von Überlegungen und Gründen, die plausibel erscheinen und in einer Art von nüchterner Mystik für die Existenz von Transzendenz sprechen, etwa weil Endlichkeit ohne Unendlichkeit nicht denkbar ist und weil die vorgestellte und gefühlte Beziehung zur Transzendenz ganz andere Räume fürs Leben eröffnet“.
Aus: Johannes Röser, Wenn Leere Lehre wird. In:  Christ in der Gegenwart 33/1016 Weiterlesen

Mit Religion und Vernunft eine neue Aufklärung

Ich lese gerade die Überlegungen von Pankaj Mishra, der gestern mit Juncker das Forum Alpbach eröffnete. Er wendet sich gegen die Fetischierung der alten Aufklärung und erinnert an Václav Havel, der meinte, dass eine aufrichtige, tiefgreifende und dauerhafte Veränderung hin zum Guten nicht mehr aus dem Sieg eines bestimmten traditionellen Konzepts resultieren könne. Er meinte, dass eine solche Veränderung von der grundlegenden Neupositionierung der Menschen in der Welt, ihrer Beziehung zu sich selbst, zueinander und zum Universum herrühren müsse. Mishra: Aber wenn die Aufklärung „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ war, dann ist diese Aufgabe, diese Pflicht, wie Kant schreibt, nie erfüllt; jede Generation muss sie unter wechselnden politischen und kulturellen Umständen erneut wahrnehmen, so wie es die Improvisatoren und Innovatoren der europäischen Nachkriegszeit vorgezeigt haben. Die Aufgabe derjenigen, die die Freiheiten der Aufklärung schätzen, besteht darin, diese Freiheiten neu zu denken – in unseren unwiderruflich durchmischten und extrem ungleichen Gesellschaften, in der weiteren, eng verflochtenen Welt – mittels eines Ethos der Kritik, gepaart mit Mitgefühl und grenzenloser Selbsterkenntnis. Nur dann können wir wirklich behaupten, aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit herausgekommen zu sein.

Pankaj Mishra: Wir brauchen eine neue Aufklärung  aus: Standard, 20.8.2016