Ich liebe die Gedanken des Mystikers Ernesto Cardenal. Sie haben mir in meinem Leben sehr geholfen, die Kälte der Welt und der Menschen zu ertragen und mir einen Blick auf das Dahinter geöffnet.
Er schreibt: Die ganze Natur ist Caritas, aber nur die Mystikerin und der Mystiker erleben diese Art von Liebe mit der eigenen Erfahrung. Die Liebe Gottes umgibt uns von allen Seiten. Seine Liebe ist das Wasser, das wir trinken, die Luft, die wir atmen und das Licht, das wir schauen. Alle natürlichen Phänomene sind nichts Anderes als verschiedene materielle Formen der Liebe Gottes. Wir bewegen uns in Seiner Liebe wie der Fisch im Wasser. Und wir sind so nahe bei Ihm, so durchtränkt von Seiner Liebe und Seinen Gaben (wir sind selbst eine Gabe Gottes), dass wir es gar nicht merken, weil uns die Perspektive fehlt. Seine Liebe hüllt uns von allen Seiten ein, darum spüren wir sie nicht, wie wir auch den Druck der Atmosphäre nicht spüren.
Die Natur ist die fühlbare, die materialisierte Liebe Gottes. Seine Vorsehung ist sichtbar in allem, was wir anschauen. Aber die Menschen hasten durch die Straßen, voller Sorgen und ohne einen Augenblick innezuhalten und an Ihn zu denken, an Ihn, der sie von allen Seiten einhüllt, der die Haare auf ihrem Haupte gezählt hat und alle ihre Zellen.
Warum sorgen wir uns dann eigentlich?
Warum gehen die Menschen mit ernsten Gesichtern durch die Städte, als ob sich jeder für sich alleine bewegte, in einer fremden und feindlichen Welt, in der jeder auf sich selbst gestellt ist? Warum sorgen wir uns, was wir essen und trinken, womit wir uns kleiden und welche Markenartikel wir kaufen sollen?
Gott wacht mit seiner Vorsehung seit 4 Milliarden Jahren über die Erde und hat seit 100 Millionen Jahren für die Vögel und die Insekten gesorgt, du aber fühlst dich hilflos und allein in der Welt, als ob keiner für dich sorgte. Du vergisst, dass da Einer ist, der sich in diesem und jedem Augenblick um dein Gewebe sorgt, und der den Lauf deines Blutes reguliert und die Funktion deiner Drüsen überwacht.
Und dann denkst du, dass irgendein kleines Problem deines täglichen Lebens nur von dir allein gelöst werden könnte.
Aus: Ernesto Cardenal, Die Stunde Null, Das Buch von der Liebe, Wuppertal, Hammer 1980. 2. Aufl. S. 298-299.
Ernesto Cardenal hat das so erfahren. Die Natur ist aber nicht nur Liebe. Sie kann sehr grausam sein. Tsunami, Erdbeben, Epidemien, Krebs und Autoimmunerkrankungen. Die Natur benötigt, um liebevoll zu sein, eine Eindämmung oder eine Verwandlung. Die Kinder müssen vor Raubtieren geschützt werden und unsere Körper brauchen Mittel gegen tödliche Viren und Bakterien. Ich glaube, dass Gott uns liebevoll umgibt, aber er gibt uns auch die Fähigkeiten, die Natur zu kultivieren, sodass sie zur Freude von Mensch und Gott leben und wachsen kann.
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